Eines Tages findet du die Kündigung wegen Eigenbedarfs im Briefkasten – eine Situation, die für die meisten Mieter eine echte Horrorvorstellung darstellt. Erfahrungsgemäß enden die meisten Eigenbedarfskündigungen für Mieter mit dem Auszug. Jedoch könnte ein aktuelles Urteil diese Dynamik möglicherweise verändern.

 

Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Situation der Mieter?

In diesem speziellen Fall hat ein Mieter der Eigenbedarfskündigung widersprochen und sich auf die Härtefallregelung gemäß §574 BGB im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen. Dort ist der genaue Wortlaut folgender: “Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.”
Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch gilt dies explizit auch dann, “wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.“ Der Mieter berief sich genau darauf bei seinem Widerspruch. Entgegen vielen Erwartungen gab das Berliner Landgericht dem Mieter sogar recht. Am 25. Januar 2024 wies die 67. Zivilkammer in zweiter Instanz die Räumungsklage der Vermieterin zurück. Die Begründung lautete: Der Mieter hatte überzeugend nachgewiesen, dass er trotz intensiver Bemühungen aufgrund seiner finanziellen Situation keine alternative Wohnung finden konnte, was einen Umzug für ihn unzumutbar machte.

Darüber hinaus hatte ein vom Gericht bestellter Sachverständiger ein Gutachten über die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt vorgelegt. Sein Ergebnis war: Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit freier Wohnungen seien die Aussichten des Mieters gegenwärtig und auf absehbare Zeit äußerst gering, eine Wohnung zu finden, die finanziell für ihn tragbar ist. Nach Anhörung des Mieters und der Vermieterin und unter Berücksichtigung aller relevanten Interessen traf die Kammer ihr Urteil: Die Räumungsklage wurde abgewiesen, das Mietverhältnis wird vorerst bis zum 31. Januar 2026 fortgesetzt. Dabei steht der Vermieterin eine leicht höhere Miete zu.

Peter J. S. Lau, ein Anwalt für Mietrecht von der Kanzlei Lützenkirchen Rechtsanwälte in Köln, betrachtet das Urteil als bahnbrechend. Er prognostiziert, dass Mieter und ihre Rechtsvertreter bald auch in anderen deutschen Städten ähnliche Argumente für den Widerspruch gegen Eigenbedarfskündigungen vorbringen werden. Schließlich seien die Wohnungsmärkte in fast allen deutschen Städten angespannt – insbesondere in Metropolen wie Berlin, München, Köln oder Frankfurt, wo die Mieten zuletzt deutlich gestiegen sind und voraussichtlich weiter steigen werden. „Das Urteil definiert eindeutig die Möglichkeiten des Mieters beim Widerspruch“, sagt Anwalt Lau. Daher könne es auch als Leitfaden für zukünftige Entscheidungen darüber dienen, unter welchen Bedingungen ein Mietverhältnis fortgeführt werden sollte.

Begrenzt das Urteil möglicherweise weitere Eigenbedarfskündigungen?

Das Urteil ist auch deshalb bemerkenswert, weil das Gericht die Rechtmäßigkeit des Eigenbedarfs nicht in Frage stellte. Im Gegenteil: Die Vermieterin gab an, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit zunehmend häufiger nach Berlin pendle und daher ihre dortige Mietwohnung dauerhaft für sich nutzen wolle. Das Gericht betonte, dass dies ihr gutes Recht sei, und hielt im Urteil fest: “Die Kammer ist (…) davon überzeugt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Eigenbedarf vorliegt.”

Das Gericht stellte fest, dass die Eigenbedarfskündigung formal korrekt war, obwohl das Amtsgericht in erster Instanz die Räumungsklage aufgrund von Formfehlern abgewiesen hatte. Das Berliner Urteil bestätigt somit das grundsätzliche Recht von Eigentümern, ihre Wohnung selbst zu nutzen. Gemäß §573 BGB erlaubt das Mietrecht ausdrücklich die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Dies gilt nicht nur, wenn der Vermieter selbst einzieht, sondern auch, wenn Familienangehörigen wie Kindern, Eltern oder dem im Haushalt lebenden Partner die Wohnung zur Verfügung gestellt werden soll. Daher ändert sich mit dem Urteil nichts: Wenn Eigentümer eine Wohnung für sich selbst benötigen, können sie ihren Mietern weiterhin fristgerecht kündigen.

Konkret bedeutet dies: Bei einer Mietdauer von weniger als fünf Jahren müssen Mieter nach drei Monaten ausziehen. Bei einer Mietdauer von bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs Monate, und Mieter, die länger als acht Jahre in ihrer Wohnung leben, haben neun Monate Zeit bis zum Auszug.

Wird es für Mieter nun einfacher, Widerspruch gegen Eigenbedarfskündigungen einzulegen?

Fachanwalt Lau kommentiert die Entscheidung des Landgerichts und betont, dass das Berliner Urteil zweifellos die Rechte der Mieter stärkt. “Eine Kündigung wegen berechtigten Eigenbedarfs bedeutet für Mieter nicht mehr in jedem Fall, dass sie ihre Wohnung auch räumen müssen.“ Die ausführliche Begründung des Urteils zeigt die Einzigartigkeit dieser Entscheidung.

Der Mieter konnte im Detail nachweisen, dass er innerhalb der zweieinhalb Jahre zwischen der Kündigung und der Hauptverhandlung erfolglos auf insgesamt 244 Wohnungen in 39 Berliner Ortsteilen beworben hatte. Für das Gericht war dies eine ausreichend hohe Anzahl, um seiner Verpflichtung zur eigenständigen Suche nach Ersatzwohnraum quantitativ gerecht zu werden. Die Kammer stellt fest, dass eine grundsätzlich schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt den Mieter nicht von der Pflicht zur Suche nach Ersatzwohnraum entbindet. Allerdings ist es nicht zwingend erforderlich, dass ein Mieter sich auf Hunderte von Wohnungen bewirbt, um einen Härtefall nachzuweisen.

Entscheidend ist vielmehr, ob ein Mieter aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine realistische Chance hat, auf dem Wohnungsmarkt erfolgreich zu sein. Daher ist der Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung nicht automatisch erfolgreich. Es kommt vielmehr auf die individuelle Situation des Mieters an. Für Mieterinnen und Mieter mit niedrigen bis mittleren Einkommen, die bereits seit langer Zeit in ihrer Wohnung leben und dementsprechend noch vergleichsweise niedrige Mieten zahlen, könnten die Chancen zumindest nach dem Urteil besser sein.

Was können Mieter bei einer Eigenbedarfskündigung tun?

Wenn der Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigt, muss er bestimmte formale Anforderungen erfüllen, die Mieter kennen sollten. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen, und alle relevanten Fakten müssen klar aus dem Schreiben hervorgehen. Dazu gehören die genaue Person und ihre Verwandtschaftsbeziehung, für die die Wohnung benötigt wird, sowie der Grund für den Eigenbedarf, wie etwa eine Trennung, ein Studienplatz für die Tochter oder der Zuzug eines Elternteils. Ein einfacher Satz wie „Hiermit kündige ich wegen Eigenbedarfs“ reicht nicht aus.

Sobald das Schreiben zugestellt ist, müssen Mieter streng genommen nichts tun. Weder Zustimmung noch Ablehnung sind erforderlich. Wer die Nerven hat, kann sogar den Räumungstermin verstreichen lassen. In diesem Fall wird der Vermieter jedoch höchstwahrscheinlich eine Räumungsklage beim Amtsgericht einreichen, und die Erfolgsaussichten für den Vermieter sind dabei nicht gering. Ein Mieter kann jedoch auf diese Weise Zeit gewinnen, da Räumungsklagen oft viele Monate dauern. Wenn Zweifel bestehen, ob der Eigenbedarf berechtigt oder ausreichend begründet ist, kann der Mieter dies bestreiten. „Es genügt zu sagen: Das glaube ich nicht“, sagt Anwalt Lau. Auch in diesem Fall muss der Vermieter vor Gericht beweisen, dass seine Ansprüche berechtigt sind. Mieter, die diesen Schritt in Erwägung ziehen, sollten in jedem Fall rechtlichen Rat einholen, sei es von einer Rechtsschutzversicherung, einem Anwalt oder einem Mieterverein.

Der Mieter muss aktiv werden, wenn er Härtegründe geltend machen und der Kündigung widersprechen möchte. Spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist muss er dies dem Vermieter schriftlich mitteilen. Die rechtliche Klärung liegt dann wieder bei den Gerichten, möglicherweise sogar über mehrere Instanzen. Für Mieter, die eine juristische Auseinandersetzung mit dem Vermieter vermeiden möchten, besteht die Möglichkeit, zu verhandeln. Viele Vermieter sind bereit, die Kündigungsfrist zu verlängern oder eine Umzugshilfe anzubieten, wenn der Mieter auf den Widerspruch verzichtet. Sprinterverträge sind ebenfalls üblich, bei denen Mieter finanziell belohnt werden, wenn sie früher ausziehen.

Wenn sich nach dem Auszug herausstellt, dass die Wohnung nicht wie behauptet an die Verwandtschaft vermietet wurde

In solchen Fällen haben Mieter Anspruch auf Schadensersatz. Wenn sich beispielsweise herausstellt, dass der Vermieter nicht rechtzeitig vor Ablauf der Kündigungsfrist darüber informiert hat, dass der Eigenbedarf inzwischen entfallen ist – etwa weil der Sohn den Studienplatz in einer anderen Stadt angenommen hat – bleibt die Kündigung zwar bestehen. Ein Mieter kann jedoch seinen finanziellen Schaden teilweise geltend machen, beispielsweise aufgrund hoher Umzugskosten oder höherer Mietzahlungen. Dies kann teuer werden.

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